In der Digitalausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 16. Juni findet sich ein eindrücklicher Kommentar zum Zustand der Infrastruktur in Deutschland allgemein und insbesondere in Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur:
Besonders schmerzlich und wohlbekannt liest sich für uns der vorletzte Absatz:
Nach und neben den gigantischen Investitionen im Osten nach der deutschen Einheit verständigte sich diese Republik für drei Jahrzehnte auf einen sogenannten Pragmatismus, der am Ende gerne die erhörte, die etwas lieber mal nicht wollen. Eine moderne Infrastrukturpolitik müsste sich stattdessen von nun an sehr schnell dem Gemeinwohl und der Zukunftsvorsorge unterordnen. Das „Verkehrliche“ ist keine politische Verfügungsmasse, sondern Lebensgrundlage.
Auch in Gundelfingen haben Gemeinderätinnen und -räte von FW, SPD und CDU den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, dass man die Straßenbahnanbindung in und durch den Ort als effizientes, nachhaltiges, öffentliches Infrastrukturprojekt weder „brauche“ noch „wolle“. Stattdessen kämen doch bald E-Busse oder noch modernere, leider noch nicht verfügbare Verkehrsmittel (und natürlich das private E-Auto). Mal abgesehen davon, dass E-Busse natürlich auch ohne jedes Zutun des Gundelfinger Gemeinderats kommen werden: Das Votum des Bürgerentscheids akzeptieren wir selbstverständlich — zumindest während der rechtlichen Sperrfrist, also für die nächsten drei Jahre. Vor einer „endgültigen“ Entscheidung, wie Bürgermeister Walz in der Badischen Zeitung vom 14. November 2023 behauptete, kann aber natürlich keine Rede sein:
Dass sich die Frage nach einer Straßenbahnverlängerung nach Gundelfingen nun endgültig erledigt habe, sieht auch [sic!] Gundelfingens Bürgermeister Raphael Walz so. „Wenn sich die Welt nicht komplett auf den Kopf stellt, sollte nach meinem Demokratieverständnis das Thema nun dauerhaft vom Tisch sein.“
„ZRF konzentriert sich nun auf andere Aufgaben“, Badische Zeitung vom 14. November 2023.
Er ist damit weder auf Linie mit der Freiburger Stadtverwaltung und der VAG (wie BZ-Redakteur Sebastian Krüger das suggeriert), die die Stadtbahn im Vertrauen auf vergangene Grundsatzbeschlüsse des Gundelfinger Gemeinderat bis ans Ortsschild von Gundelfingen gebaut haben, noch deckt sich diese Interpretation mit §21 der Gemeindeordnung in Baden-Württemberg, die Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene regelt. Bedürfnisse zukünftiger Generationen können sich ändern, sodass eben keine demokratische Entscheidung für „immer“ gilt. Im konkreten Fall ist auch klar: Das Nein-Lager war und ist nicht homogen.
Sicherlich gab es Nein-Stimmen, die öffentliche Verkehrsmittel grundsätzlich nicht wollen oder deren Bedeutung jetzt und für alle Zukunft für überbewertet halten und daher jegliche Veränderungen des Ortsbildes oder gar Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr rigoros ablehnen. Es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet eine Verbesserung im öffentlichen Verkehr mit dem „Argument“ abgelehnt wird, sie sei überdimensioniert, werde „eh nicht genutzt“, beanspruche zu viel Platz usw.
Aber sehr viele Wählerinnen und Wähler dürften auch den Versprechungen der Nein-BI geglaubt haben, dass sich eine mindestens gleichwertige (!) Bus-Infrastruktur schneller, günstiger und ökologischer ohne Bauphase verwirklichen lasse. Viele haben wohl auch der manipulierten Studie geglaubt, wonach E-Busse die ökologisch günstigsten motorisierten Verkehrsmittel seien — das Wort von Gemeinderäten bzw. Gemeinderätinnen hat eben Gewicht und viele Bürgerinnen und Bürger vertrauen berechtigterweise darauf, dass sie nicht belogen werden.
Selbstverständlich beobachten wir also weiterhin, wie die Vertreterinnen und Vertreter des Nein-Lagers im Gemeinderat ihre Versprechungen aus dem Wahlkampf nun umsetzen wollen. Im neu gewählten Gemeinderat sitzen ja weiterhin prominente Nein-Engagierte aus der vergangenen Periode, verstärkt sogar durch die Sprecherin der Nein-BI, die auch erstmals für die FW in den Rat gewählt wurde.
Beste Voraussetzungen also, um den öffentlichen Verkehr in Gundelfingen jetzt wie versprochen zügig voranzubringen. Wir sind gespannt, woher das dafür nötige Geld kommen soll, während man ja die zweckgebundenen Mittel des für den regionalen Schienenverkehr (und nur für diesen!) zuständigen ZRF ablehnte bzw. den Eindruck erweckte, diese umwidmen oder sonst wie anzapfen zu können. Sogar BM Walz vertrat diese Auffassung ja mehrfach öffentlich und trotz Klarstellung durch den ZRF. Die jüngsten Bemühungen um einen ehrenamtlich organisierten „Bürger-Bus“ lassen jedoch schon erahnen, dass substanzielle Verbesserungen durch Busse für breite Massen wohl eher nicht kommen werden.
Um es nochmals deutlich zu sagen: Einen besseren Bustakt zur Anbindung an die Straßenbahn könnte die Gemeinde praktisch jederzeit beschließen, wenn sie wollte. Nach dem Nein zur Straßenbahn unterstützen wir dieses Vorhaben vorbehaltlos.